Im gegenwärtigen Zeitalter der Globalisierung und Digitalisierung befinden sich hochentwickelte Länder wie Deutschland laut der Internetforscherin Jeannette Hofmann „inmitten eines Strukturwandels, an dessen Ende die Wissensgesellschaft das Industriezeitalter abgelöst haben wird, so wie jenes einst die Agrargesellschaft verdrängte“. Und das bedeutet nach Hofmann konkret, dass „die Zeit der rauchenden Schlote, der Massenproduktion und monotonen Arbeit“ vorbei ist und die Zukunft „der Wissensverarbeitung, den intelligenten und sauberen Jobs“ gehört. Aufgrund dieses umfassenden Wandels und Transformationsprozesses fordert die auf den austro-amerikanischen Sozialphilosophen Frithjof Bergmann zurückgehende New-Work-Bewegung, sich von den auf „Command & Control“ ausgerichteten alten Arbeitsweisen des Industriezeitalters zu befreien und stattdessen neue Werte wie insbesondere Selbstständigkeit, Freiheit und Teilhabe an der Gemeinschaft zu ermöglichen. New Work soll – wie es die „digital pioneers“ beschreiben – „neue Wege von Freiräumen für Kreativität und der Entfaltung der eigenen Persönlichkeit bieten, um so etwas wirklich Wesentliches und Wichtiges zum Arbeitsmarkt und den Arbeitsstrukturen beizutragen“. Auf den Punkt gebracht geht es darum, Mitarbeiter*innen nicht länger vorzuschreiben, was sie zu tun haben, sondern ihnen die Möglichkeit zu geben, die Sinnhaftigkeit ihres Tuns und Handelns zu hinterfragen und zu der Arbeit zu gelangen, die sie – wie Bergmann es formuliert – „wirklich, wirklich wollen“.

Soweit zur New Work-Bewegung in der Arbeitswelt. Doch was hat das Ganze mit dem Spitzensport zu tun? Nun, Trainer*innen, Sportler*innen und Funktionär*innen leben nicht im luftleeren Raum, sondern sind ebenfalls Teil einer sich gerade formierenden Wissensgesellschaft. D.h. auch sie bekommen den gegenwärtigen Struktur- und Wertewandel hautnah mit und werden sich zukünftig mit der Frage auseinandersetzen müssen, inwieweit ihre Denk- und Arbeitsweise noch zeitgemäß ist. Gerade vor dem Hintergrund der speziell im Profi- und Nachwuchsfußball laut gewordenen Forderung nach mehr Individualität und Kreativität gilt es zu klären, ob dieses Ziel in einer alten, hierarchiegeprägten „Command & Control“-Struktur überhaupt möglich ist. Oder anders ausgedrückt bzw. gefragt: Welche Voraussetzungen müssen erfüllt sein, damit Individualität und Kreativität entstehen kann? Braucht es dazu ggf. einen Paradigmenwechsel in der Arbeitsweise im Spitzensport, einen „New Sport“ als Pendant zur „New Work“ – und wie könnte ein New Sport-Konzept aussehen?

Das sind Fragen, die nicht leicht zu lösen sind, meines Erachtens jedoch dringend angegangen werden müssen, da sich die emanzipatorische Haltung hinter dem New-Work-Konzept nicht auf die Arbeitswelt beschränkt, sondern eine neue „Art of Living“ darstellt, die das Potenzial hat, sämtliche Bereiche und gesellschaftliche Subsysteme – also auch den Sport – zu durchdringen. Aus meiner Sicht sind in erster Linie die Funktionär*innen in den Vereinen und Verbänden gefragt – ebenso die Trainer*innen. Sie haben die Aufgabe, Sportler*innen die Erfahrung eines „New Sport“ zu ermöglichen, in dem sie sich persönlich und sportlich besser entfalten können – mit mehr Gestaltungs- und Beteiligungsmöglichkeiten als bisher, verbunden mit einer echten Chance, auch konstruktiv-kritisches Feedback geben zu können, ohne Gefahr zu laufen, deshalb sanktioniert zu werden. Und das können Trainer*innen am besten und wohl nur dann erreichen, wenn sie eine neue Arbeitsweise erlernen, die weniger hierarchiegeprägt, sondern vielmehr begleitend, wertschätzend und fördernd ist – und außerdem (endlich!) darüber nachdenken, wie sie, speziell in den Top-Ligen, eine Life-Balance herstellen können, in der auch die Familie und das private Umfeld die Zeit und den Raum erhalten, den sowohl sie als auch die Trainer*innen brauchen.

Gerade im Profifußball-Bereich scheinen mir die letztgenannten Punkte bislang weitestgehend unberücksichtigt geblieben zu sein. Deshalb habe ich dieses Thema in meiner Kolumne für das BDFL-Journal (Bund Deutscher Fußball-Lehrer) aufgegriffen, dessen nächste Ausgabe Mitte April erscheinen wird.

Ich freue mich auf die Rückmeldungen und Kommentare.

Bis demnächst

Michael Micic

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