Trotz der im WM-Jahr 2006 gestarteten Initiative „Charta der Vielfalt“, die für ein vorurteilsfreies Arbeitsumfeld steht und der sich inzwischen über 3.000 Unternehmen, Einrichtungen, Behörden und auch Verbände wie z.B. der DFB angeschlossen haben, ist von Diversity vielerorts erst wenig zu sehen. Zwar werden sowohl in der Wirtschaft als auch vor allem im Sport für die Außendarstellung bunte Fahnen geschwenkt und Vielfalt suggeriert, intern zeigt jedoch in der Regel kaum jemand Flagge. Ernüchternd heißt es dazu im Themen-Portal XING Spielraum, dass hierzulande Diversity wenig gelebt werde und eher mit „eine[r] Vielfalt an Problemen“ einhergehe.

Am 28. Mai dieses Jahres fand der inzwischen siebente „German Diversity Day“ unter reger Beteiligung vieler deutscher Großkonzerne statt, die darüber hinaus auch zahlreiche Programme zur Stärkung von Vielfalt erarbeitet und umgesetzt haben – so wie etwa die Porsche-AG, die die Anzahl ihrer weiblichen Führungskräfte mit Hilfe des „Projekts Chancengleichheit“ binnen vier Jahren verdoppeln konnte. Fakt ist allerdings (wie der SPIEGEL im April dieses Jahres berichtete) auch, dass weiterhin 105 von 160 deutschen Börsenunternehmen keine einzige Frau im Vorstand vertreten haben. Diversity scheint demnach auch im Jahr 2019 noch nicht überall alle Hierarchieebenen erreicht zu haben. Dieser Umstand wäre laut Wiebke Ankersen, Geschäftsführerin der (sich für mehr Frauen und Diversität in den Führungspositionen der Wirtschaft einsetzenden) AllBright-Stiftung, „in Schweden, in den USA, in Großbritannien […] undenkbar. Rein männliche Führungsteams sind dort gesellschaftlich einfach nicht mehr akzeptiert.“

Und wie sieht es im deutschen Fußball aus? Bibiana Steinhaus ist die erste Frau, die als Schiedsrichterin Spiele im Männerbereich auf höchster Ebene leitet. In den Clubs und Verbänden sind die Entscheidungsträger jedoch in der Regel nach wie vor männlich. Dennoch steht der Fußball und der Sport allgemein, wenn man neben dem Geschlecht auch andere Diversitätskriterien wie z.B. ethnische und soziale Herkunft, Weltanschauung etc. betrachtet, wie kaum ein anderes Subsystem für Vielfalt und Chancengleichheit – was sich wie etwa bei den Werbevideos zur WM 2006 in Deutschland auch glaubhaft nach außen darstellen lässt.

Ist damit im Land des (nun ja, inzwischen Ex-) Weltmeisters also doch „alles gut“ in Sachen Diversity? Keineswegs. Denn die Vielfalt sozialer Gruppen allein reicht nicht aus. Sie muss auf einer gemeinsamen (Werte-)Basis stehen, ein Zugehörigkeitsgefühl vermitteln, damit eine Einheit, ein Team entstehen und zusammenwachsen kann – eine Art „Diversity in Unity“. Der „Fall Özil“ und sein dreiteiliges Rücktrittsstatement nach den rassistischen Anfeindungen aufgrund der „Erdogan-Affäre“ im vergangenen Jahr haben gezeigt, wie fragil die Verbindung von Diversity und Belonging insbesondere in Krisenzeiten ist – wobei sich Özil freilich die Frage gefallen lassen muss, zu welcher Wertebasis er sich bekennt und inwieweit diese beim gemeinsamen Posieren mit Erdogan zum Ausdruck gekommen ist.

Missverstanden wird der oben genannte Gedanke einer „Diversity in Unity“ dann, wenn sie mit Standardisierung gleichgesetzt wird. „Diversity in Unity“ ist das Gegenteil von Standardisierung! Eine gemeinsame Wertebasis zu haben und sich einem Team, einem Verein, einem Unternehmen oder einer Nation zugehörig zu fühlen, bedeutet keine Gleichmacherei und Aufgabe von Individualität. Doch genau das ist es, was im Sport wie in der Wirtschaft noch zu häufig geschieht. Die Teams dürfen nach außen gerne bunt erscheinen, aber ein wirkliches Anders-als-Andere-Sein ist dem Individuum selten gestattet. Denn Anderssein stört und gefährdet scheinbar die Ordnung und damit die sportlichen bzw. ökonomischen Ziele. Dabei ist es genau dieses Stören und Hinterfragen des Status Quos, das bei divers zusammengesetzten Teams normalerweise quasi automatisch geschehen und — solange es konstruktiv ist – gefördert werden müsste. Auch und gerade in Zeiten des Erfolgs – und nicht, wie im deutschen Fußball, erst nach dem peinlichen Vorrunden-Aus bei der WM 2018. Seitdem mehren sich Stimmen wie die von Mehmet Scholl und Matthias Sammer oder auch DFB-intern von Meikel Schönweitz, dass die Individualität innerhalb eines Teams wieder stärker gefördert werden müsse. Ähnlich sieht es Patrick Cowden in Bezug auf die Wirtschaft. Laut Cowden sollte beim Bemühen der Unternehmen (und das gilt gleichsam für Vereine und Verbände im Sport), mehr Diversität in die Teams zu bringen, „nicht die Vielfalt sozialer Gruppen im Vordergrund stehen, sondern die ,Einzigartigkeit‘, das heißt die Vielzahl echter Persönlichkeiten in einer ansonsten durch und durch genormten Unternehmenswelt“. Die Förderung von Einzigartigkeit im Rahmen einer gemeinsamen und dadurch möglicherweise immer wieder zu verteidigenden oder im Diskurs neu zu definierenden Wertebasis – das meine ich mit „Diversity in Unity“. Klingt anstrengend, ich weiß – birgt aber auch enorme Potenziale für die Persönlichkeitsentwicklung. Denn wenn ich meine Meinung frei und offen sagen darf, fühle ich mich sicher, zugehörig und kann vertrauen. Und wenn ich mich sicher fühle, werde ich kreativ. Wenn meine Ideen und Gedanken auch noch Anklang finden und umgesetzt werden, erlebe ich Selbstwirksamkeit. Das Erleben von Selbstwirksamkeit macht mich selbstbewusst, fördert eine „Hands-On-Mentalität“, die mir hilft, neue Herausforderungen und Aufgaben verantwortungsbewusst und mit Zuversicht anzupacken und zu bewältigen.

Soweit meine Gedanken zur Vielfalt in Teams. In meinem nächsten Blogeintrag widme ich mich der Frage, wie ich die Vielfalt in mir selbst fördern und damit zu einer weiteren Art der „Diversity in Unity“ gelangen kann.

Bis demnächst!

Michael Micic

0 Kommentare

Hinterlasse einen Kommentar

An der Diskussion beteiligen?
Hinterlasse uns deinen Kommentar!

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert