Wer in Wirtschaft und Sport dauerhaft erfolgreich sein möchte, muss als Führungskraft oder Trainer*in immer wieder neu in der Lage sein, aus einer Ansammlung von Individuen ein Spitzenteam zu formen. Aber was braucht es dafür?

Klar ist: Ein zerstrittenes Gegeneinander ist ebenso wenig dienlich wie ein resonanzarmes Nebeneinander. Und selbst ein kollegiales Miteinander reicht nicht aus. Es braucht mehr – aber was genau? Alles beginnt mit einer dreigliedrigen Grundstruktur.

Das Wir im Wir

Was Spitzenteams ausmacht, ist bei aller Konkurrenz und individuellen Einzelinteressen ein gemeinsames Ziel, das allem anderen übergeordnet ist und dem sich alle Teammitglieder gegenüber verpflichten – ganz gleich, ob es sich dabei um die Akquise, Planung und Umsetzung eines prestigeträchtigen Großprojekts im Wirtschaftskontext handelt oder den begehrten Gewinn eines bestimmten Titels im Sport.

Alle im Team müssen darin vereint sein und dafür brennen, gemeinsam Großes erreichen zu wollen – und z.B. in diesem Jahr Fußball-Europameister im eigenen Land zu werden.

Das Ich im Wir

Ein gemeinsames Ziel vor Augen zu haben und erreichen zu wollen bedeutet keinesfalls, das Ich für das Wir zu opfern und sich assimilieren zu lassen. Genauso wenig geht es allerdings umgekehrt darum, das Ich vom Wir zu entkoppeln und rein auf die Eigeninteressen zu achten. Vielmehr geht es im Sinne einer Symbiose um das Ich im Wir und damit darum, die eigene, von der Führungskraft oder dem Trainer*innenteam übertragene Rolle sowie die damit verbundenen Aufgaben zu kennen, zu akzeptieren und so zu übernehmen, dass die individuellen Fähigkeiten bestmöglich und anforderungsgerecht dem gemeinsamen Ziel des Teams dienen.

Und das kann dann – wie z.B. im Fall von Joshua Kimmich – dazu führen, sich mit der eigenen Vielseitigkeit in den Dienst der Mannschaft zu stellen und die bevorzugte zentrale Mittelfeldposition für die von Kimmich weniger gemochte, aber für das Teamgefüge so wichtige Außenverteidigerposition zu bekleiden. Würdest Du das in Deinem eigenen Kontext auch machen?

Im Fußball plädieren Matthias Sammer und sein langjähriger wissenschaftlicher Mitarbeiter Karsten Schumann dafür, die Rollen im Team aufzuteilen nach Führungsspieler*innen, Kreativspieler*innen (Individualist*innen), Teamspieler*innen und Ergänzungsspieler*innen. Wer im Team in welcher Anzahl welche dieser Rollen und damit verbundene Aufgaben übernimmt, legen die Trainer*innen fest. Freilich können sich die Teammitglieder – insbesondere natürlich die Ergänzungsspieler*innen – auch noch in andere Rollen aus dem vorgestellten Portfolio hineinentwickeln. Die Grundstruktur bleibt jedoch in der Regel erhalten.

Und ebenso gilt es für Trainer*innen in anderen Sportarten und Führungskräfte in der Wirtschaft, ein Rollengerüst zu definieren und zu etablieren, das den Anforderungen ihres jeweiligen Kontextes sowie der gemeinsamen Zielsetzung des Teams entspricht.

Laut der Selbstbestimmungstheorie (engl. Self-Determination Theory [SDT]) der beiden amerikanischen Psychologieprofessoren Edward Deci & Richard Ryan aus dem Jahr 2008 müssen für die Motivation, Entwicklung und Gesundheit von Menschen insbesondere die drei beschriebenen Grundbedürfnisse erfüllt sein: Autonomie (das heißt ein Ich und damit ein Individuum zu bleiben), Zugehörigkeit (also zu einem Team zu gehören) sowie Kompetenzerleben (durch das Einbringen und Entwickeln der eigenen Fähigkeiten). Das Wir im Wir und das Ich im Wir bieten dafür insgesamt eine gute Basis. Doch darüber hinaus braucht es in der dreigliedrigen Grundstruktur noch das Du im Wir – zumindest wenn man ein Spitzenteam sein möchte.

Das Du im Wir

Das Du im Blick zu haben bedeutet insbesondere, das Potenzial der anderen zu sehen und ihnen zu helfen, dieses Potenzial zu entfalten und über sich hinauszuwachsen. Der Religionsphilosoph Martin Buber schrieb dazu einmal passend: „Der Mensch wird am Du zum Ich.“ Das Du im Wir zu sehen und damit in Resonanz zu gehen bedeutet also nicht nur, „Potenzialentfaltungshelfer*in“ für andere zu sein, sondern auch Dialogpartner*in für Sinnstiftung und Identitätsfindung. Insofern erfordert und ermöglicht die Ausrichtung des Ichs auf das Du im Wir einen co-kreativen Prozess.

Das Besondere an Spitzenteams ist, dass sie es trotz einer starken Konkurrenzsituation bezüglich der einzelnen Teampositionen schaffen, dass das Du durch das Ich bzw. das Wir darin bestärkt wird, das Beste für den gemeinsamen Erfolg des Teams zu geben. Für alle deutschen Fußballfans unvergessen bleibt da das Beispiel von Oliver Kahn bei der Heim-WM 2006, als der „Titan“ als bis dahin unangefochtene Nummer eins im deutschen Tor seine Degradierung zur Nummer zwei sportlich nahm, sich in den Dienst der Mannschaft stellte und seinem Konkurrenten Jens Lehmann im Viertelfinale vor dem Elfmeterschießen gegen Argentinien die Hand reichte und ihm viel Erfolg wünschte. Und neben der eigenen Ein- oder Unterordnung für die gemeinsame Sache geht es darüber hinaus auch darum, Anderer Fehler oder Last (mitzu-)tragen und füreinander da zu sein.

Und nun sind wir bei einem zentralen Merkmal, sozusagen beim Arkanum von Hochleistungssteams angelangt: Sie konkurrieren, aber spielen nicht gegeneinander. Sie wahren Rollen- und Aufgabengrenzen, existieren aber nicht einfach nur nebeneinander. Sie achten nicht nur auf ein kollegiales Miteinander, sondern auf ein sich gegenseitig supportendes Füreinander.

Wie das gehen kann, hat die deutsche Fußballnationalmannschaft z.B. beim Sommermärchen 2006 hier in Deutschland oder beim WM-Titel 2014 in Brasilien gezeigt – und wird es hoffentlich auch bei der diesjährigen Europameisterschaft eindrucksvoll unter Beweis stellen. Zu wünschen wäre es ihr!

Was meinst Du? Was brauchen Spitzenteams (noch) für den Erfolg?

 

Bildnachweis: © fauxels/Pexels

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