In meinem letzten Blogeintrag ging es um die Vielfalt in Teams. Heute beschäftige ich mich mit einer anderen Art der „Diversity in Unity“ – der Vielfalt im Individuum. Aufgrund der unterschiedlichen Variationen und Kombinationen der Gene ist jeder Mensch ein Unikat. Selbst bei eineiigen Zwillingen sind die Fingerabdrücke nicht identisch. Zur biologischen und genetischen Einzigartigkeit des Menschen gesellt sich aber auch die Pluralität seines Innenlebens, die der Psychologe Friedemann Schulz von Thun in seinem Persönlichkeitsmodell als „Das Innere Team“ definiert hat. Mitglieder des „Inneren Teams“ können dabei entweder miteinander harmonieren oder sich eher distanziert gegenüberstehen. Da sagt beispielsweise der*die innere Antreiber*in: „Komm‘, das packst Du jetzt an!“, während der*die Vorsichtige oder der*die Bequeme erst noch einmal Pro und Contra, Aufwand und Ertrag gegeneinander abwägen. Modelle wie das des „Inneren Teams“ oder die von Richard David Precht in seinem gleichnamigen Bestsellerwerk gestellte Frage „Wer bin ich – und wenn ja wie viele?“ lassen erahnen, wie vielfältig und komplex der Mensch als Gattung und als Individuum ist.

 

Vielfalt? Ja. Aber bitte nicht im Lebenslauf.

Und dennoch wird gerade Letztgenanntes, diese bunte Vielfalt im Individuum, diese „Diversity in Unity“, in Subsystemen wie Wirtschaft und Sport zu wenig gefordert und gefördert – zumindest im Hinblick auf berufliche Diversitätsperspektiven. Gut, in den Nachwuchsleistungszentren der Vereine oder in Firmen und Konzernen besteht eine duale Ausbildungspflicht bzw. ein entsprechendes Angebot. „Schornsteinkarrieren“ innerhalb desselben Fachbereichs oder derselben Branche stellen jedoch gegenüber „Zick-Zack-Karrieren“ immer noch die Regel dar und Bewerberinnen und Bewerber mit entsprechendem Lebenslauf werden von Recruitern und erst recht von KI-gestützten Programmen bereits im Auswahlprozess bevorzugt. Ein begründeter Branchenwechsel wird toleriert, verschiedene Ausbildungen, die nicht direkt miteinander im Zusammenhang stehen, aber eher als Unschlüssigkeit denn als Perspektiven- und Horizonterweiterung bewertet – getreu dem Motto: Vielfalt? Ja. Aber bitte nicht im Lebenslauf. Doch wie sollen Führungskräfte in Unternehmen oder Trainer*innen in Sportvereinen die Potenziale von Diversity entwickeln können, wenn sie selbst nur einschlägige, aber keine unterschiedlichen Erfahrungen gemacht haben?

 

Meine eigenen Diversitätserfahrungen

Deshalb plädiert Christoph Magnussen nach der Erfahrung aus über 100 Folgen seines Podcasts „On the Way to New Work“ dafür, sich auszuprobieren, um sich so in den eigenen Fähigkeiten weiterentwickeln und Grenzen erweitern zu können. Ausprobiert habe ich mich in meinem bisherigen Arbeitsleben auch – meistens freiwillig, manchmal aber auch nicht. Ich habe eine kaufmännische Ausbildung gemacht, Betriebswirtschaft mit Schwerpunkt Sportmanagement studiert, danach Theologie und eine Coachingausbildung absolviert. Ich war als Bewerbungstrainer für Langzeitarbeitslose, Schwerbehinderte und schwer vermittelbare Jugendliche tätig, arbeitete ehrenamtlich als Deutschlehrer für Flüchtlinge und nebenberuflich als Jugendpastor und in einer Metallwerkstatt, wobei mir Letztgenanntes eher schlecht als recht gelang. Den Blaumann tauschte ich für einen Job im Marketing und später für eine Tätigkeit als Life-Coach in einem Profifußballverein und als Personalentwickler sowie Führungskräfte-Coach in der Automobilindustrie. Hinzu kommen Erfahrungen aus 15 Jahren Ehe mit meiner Frau Hannah und der Erziehung unserer vier gemeinsamen Kinder. Einen Nachteil kann ich gerade aufgrund meiner eigenen Erfahrungen bei „unorthodoxen“ Lebensläufen nicht erkennen, solange die in den jeweiligen Bereichen gewonnenen Erkenntnisse nicht für sich alleine stehen bleiben, sondern in einen breiten Erfahrungs- und Verstehenshorizont einfließen, der geprägt ist durch die Fähigkeit, interdisziplinär denken, Mehrfachperspektiven einnehmen und Symbiosen (auch des scheinbar Unvereinbaren) herstellen zu können.

 

Individuelles Dasein zwischen Vertrautem und Fremdem

Ich bin davon überzeugt, dass die Förderung der eigenen Vielfalt zumindest hilfreich, wenn nicht sogar Voraussetzung dafür ist, Diversity auch bei anderen Menschen und in Teams zu fördern. Und dabei geht es nicht zwangsläufig oder nicht nur um die eigene Vielfalt an beruflichen Erfahrungen, sondern allgemein – um es mit den Worten des Psychotherapeuten und Coachs Christoph Schmidt-Lellek zu sagen – darum, „sein Leben verantwortlich zu gestalten, das heißt, in seinen Funktionen und Rollen sein individuelles Dasein zu verwirklichen, und zwar in den vielfältigen näheren und ferneren Bezügen, auf die es zu ,antworten‘ gilt (,Verantwortung‘). […] Identitätsarbeit, Persönlichkeits- und Karriereentwicklung“ – so Schmidt-Lellek weiter – „verlangen eine möglichst angstfreie Auseinandersetzung mit Fremdheit, und dies ist in erster Linie eine Frage der Bewusstseinsentwicklung und von ,Bildung‘“ im Sinne Humboldts als „,Beziehung auf das Allgemeine und Abstand vom Vertrauten‘“. Denn als Menschen seien wir „zeitlebens angewiesen auf die Auseinandersetzung mit Fremdem, Unbekanntem, Neuem, um psychisch nicht zu erstarren, unsere Lebendigkeit nicht zu verlieren und dabei uns nicht selbst in der Vertrautheit unserer selbst zu verraten“. Je diverser die eigenen Erfahrungen sind, das Vertraute zugunsten der Neugier und der Bildung verlassen wird, desto mehr wird man gezwungen, sich mit seiner Weltwahrnehmung auseinanderzusetzen. Ein* gute*r Coach*in, eine gute Führungskraft, ein* gute Trainer*in wird, wie der Ethikprofessor Guido Palazzo es formuliert, nur dort der eigenen Rolle gerecht, wo er*sie die Selbstverpflichtung eingeht, „zunächst einmal die Filter der eigenen Weltwahrnehmung kritisch zu prüfen – und gegebenenfalls müssen die Filter auch nachjustiert werden“. „Diversity in Unity“ bedeutet somit, immer wieder neu andere Bereiche, Menschen, Kulturen, Denk- und Handlungsweisen kennenzulernen, sie mit der bisherigen Weltwahrnehmung in Beziehung zu setzen und dann ggf. die bisherige Weltwahrnehmung zu ändern. Ein solcher Prozess ist niemals abgeschlossen und ziemlich anstrengend – aber er lohnt sich, denn er bringt uns und andere weiter und verändert unser Miteinander. Make it happen! Jede*r für sich. Und alle gemeinsam. Für eine (bessere) „Diversity in Unity“ – in der Wirtschaft, im Sport und in der gesamten Gesellschaft.

Bis demnächst!

 

Michael Micic

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