Gegenwärtig vollzieht sich ein Wandel von der Industrie- hin zur Wissens- und Informationsgesellschaft. Treiber dieses Veränderungsprozesses sind die Globalisierung, Digitalisierung und Technologisierung.

Wirtschaft

Der Trend- und Zukunftsforscher Matthias Horx prognostiziert, dass dadurch tiefgreifende Auswirkungen auf die Arbeits- und Lebenswelten zu erwarten sind – und spricht vom „Megatrend New Work“ (Zukunftsinstitut 2016). Silke Luinstra, die als Beraterin und Trainerin in Unternehmen arbeitet und Mitinitiatorin des Filmprojekts „AUGENHÖHE“ ist, sieht ebenfalls die Zeit für Veränderung gekommen und plädiert „für ein neues Paradigma in der Arbeitswelt“, das Mitarbeitenden mehr Eigenverantwortung und Entscheidungsbeteiligung ermöglicht und Menschlichkeit als wichtigen Faktor für die Arbeitszufriedenheit und den ökonomischen Erfolg begreift (Deutschlandradio Kultur 2016) – ein Plädoyer, das vom Bundesministerium für Arbeit und Soziales geteilt wird. Aus diesem Grund startete es im vergangenen Jahr einen „Dialogprozess Arbeiten 4.0“.

Spitzensport

Und wie steht es mit dem Spitzensport? Besteht auch hier – ähnlich wie in der Wirtschaft – Anlass für einen Paradigmenwechsel? Nach Auffassung von Prof. Angar Thiel, Leiter des Instituts für Sportwissenschaft der Universität Tübingen, steht zumindest die Frage im Raum, ob und inwieweit die veränderten Aufwachsbedingungen junger Menschen in Zeiten des gesellschaftlichen Wandels noch mit den Leistungs- und Lebensanforderungen des Spitzensports kompatibel sind (2015).

Erfolgsfaktor Lebenswelt?!

Ein Blick in das aktuelle BDFL-Journal (2016) und in die sportwissenschaftliche Forschung zeigt, dass der Erfolgsfaktor Lebensgestaltung im Spitzensport bislang kaum berücksichtigt wird (Thiel 2015). Dabei sei allerdings – so Thiel – gerade die „Passung von individueller Lebenswelt und Spitzensporterwartungen [eine] wichtige Voraussetzung für langfristigen sportlichen Erfolg“ (2015).

Kollisionen

Vergleicht man die individuellen Aufwachsbedingungen heutiger junger Menschen mit den Leistungs- und Lebensanforderungen des Spitzensports, scheint diese Passung nicht mehr gegeben zu sein. Laut Thiel findet hier eher eine Kollision statt. Es mangele auf der Trainerseite an einem Bewusstsein und Verständnis für die Alltagsprobleme junger Athletinnen und Athleten innerhalb und außerhalb des Sports (2015). Beispielsweise sei für sie die „Enträumlichung und Entzeitlichung der mediatisierten Welt […] nur schwer mit der des Trainings-und Wettkampfbetriebs“ in Einklang zu bringen (2015). Es falle ihnen zunehmend schwerer, sich unterzuordnen, weil sie mit der „mediale[n] Fiktion der maximalen Selbstverwirklichung“ aufwachsen (2015). Ferner haben sie laut Thiel wenig Coping-Erfahrungen mit Niederlagen und Scheitern und bekommen diese durch die Medien auch nicht ausreichend vermittelt (2015). Es falle ihnen häufig schwer, mit Monotonie umzugehen; Möglichkeiten, subjektive Belastungen und Beschwerden (körperlich und psychisch) in einem vertrauensvollen Rahmen zu kommunizieren, seien kaum vorhanden und Mehrfachbelastungen (z.B. G8) führten zu fehlenden Regenerationszeiten (2015).

Lösungsansätze

Bei dieser Fülle an Kollisionen stellt sich freilich die Frage, wie die Trainer*innen und Entscheidungsträger*innen in den Vereinen die veränderten Aufwachsbedingungen junger Athletinnen und Athleten berücksichtigen und dennoch den Leistungs- und Lebensanforderungen des Spitzensports weitgehend gerecht werden können, um erfolgreich zu sein. Thiel sieht in der individualisierten Kommunikation mit Athletinnen und Athleten einen wichtigen Lösungsansatz. Für ihn ist sie ein zentraler Faktor zur „Vermeidung von Burn-Out, chronischen Überlastungssyndromen und Drop-Out“ (2015). Im 1:1-Gespräch gelte es, die „Differenz zwischen medialer Realität und spitzensportlicher Realität zu besprechen“ (2015). Außerdem müssten für Athletinnen und Athleten in Zukunft mehr Gelegenheiten geschaffen werden, aus der Kollektividentität auszubrechen und sich – wie es ihrem individuellen Entwicklungsbedürfnis als junge Menschen entspricht – „zumindest in der Fiktion“ (2015) abweichend verhalten zu dürfen.

Was dazu wohl die Trainer*innen und Entscheidungsträger*innen sagen …

Michael Micic

Literatur und Quellen:

Bild: Foundry/Pixabay

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