Quo vadis, Chef*in: Richtung Führungskraft oder Richtung Vorgesetzte*r? | © geralt/Pixabay

Nicht nur wegen der Debatte um New Work, sondern auch aufgrund der Entlassung von Oliver Kahn und dem Vorwurf von Patron Uli Hoeneß, dass der ehemalige Welttorhüter als CEO des FC Bayern München die Erwartungen an diese Position nicht erfüllen konnte, stellt sich die Frage: Was braucht es heute, um in Hochleistungssystemen wie Wirtschaft und Spitzensport einer Chef·innen-Rolle gerecht zu werden?

Rückblick: Bei einer meiner bisherigen beruflichen Stationen unterhielt ich mich einmal mit einem Abteilungsleiter und fragte ihn dabei nach seinem Verhältnis zu seiner Führungskraft. Daraufhin unterbrach er mich umgehend und stellte leicht angesäuert klar: „Michael, ich habe zwar einen Vorgesetzten, aber keine Führungskraft.“

So eindeutig hat es nach diesem Abteilungsleiter mir gegenüber zwar bislang niemand mehr formuliert, aber als Personalentwickler und Coach in Wirtschaft und Sport höre ich immer wieder ähnliche Äußerungen, die es meines Erachtens erfordern, eine Unterscheidung zwischen Führungskräften und Vorgesetzten vorzunehmen.

Führungs-Kräfte oder Vor-Gesetzte

Zugegeben: Auf den ersten Blick erscheint die Unterscheidung zwischen beiden Bezeichnungen als Kaffeesatzleserei und Haarspalterei. Ist es nicht völlig wurscht, ob man von Chef·innen, Führungskräften oder Vorgesetzten spricht, sind das nicht alles einfach nur Synonyme? Qua Definition sind schließlich auch Führungskräfte Chef·innen und Vorgesetzte, denn sie sind – wie es im Lexikoneintrag von Cornelia von Quistorp formuliert wird – von der Unternehmensleitung eingesetzt, um eine hierarchische Stellung einzunehmen und in dem ihnen zugewiesenen Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich zu agieren. Und weiter heißt es: „Wer mindestens einem Betriebsangehörigen überstellt ist und diesem gegenüber Weisungsbefugnis hat, ist Vorgesetzter.“ Punkt. Dann ist ja alles klar und eine Unterscheidung überflüssig, oder?

Nicht ganz. Denn bei genauerer Betrachtung zeigt sich – wie Brigitte Müller von business.com, einem Onlineportal für Manager·innen, Fach- und Führungskräfte, bemerkt – bereits in der Zusammensetzung beider Bezeichnungen deren unterschiedliche Grundausrichtung. So lässt sich der Terminus „Vorgesetzte“ lt. Müller unterteilen in „Vor-Gesetzte“ und er beschreibt damit gleichsam Personen in Unternehmen, die Mitarbeitenden vor-gesetzt sind und ihnen Gesetze, Regeln, Vorgaben, die es zu befolgen bzw. erfüllen gilt, vor-setzen. Demgegenüber kennzeichnet die Bezeichnung „Führungskräfte“ – so Müller weiter – Personen, die zu „Führungs-Kräften“ werden, die aus und in der Führung sowohl für sich selbst Kraft gewinnen als auch den Mitarbeitenden Kraft geben. Entsprechend lautet Müllers Fazit: Es handelt sich also um „zwei unterschiedliche Ansätze“, mit Mitarbeitenden umzugehen.

Die zehn Thesen

Und nicht nur das: Denn hinter diesen beiden unterschiedlichen Ansätzen, mit Mitarbeitenden umzugehen, stehen unterschiedliche Haltungen, Mindsets – ja Menschenbilder und Rollenverständnisse. Genau genommen unterscheiden sich Führungskräfte und Vorgesetzte in ihren Denk- und Verhaltensweisen diametral voneinander.

Die nachfolgenden zehn Thesen sind ein Versuch, diesen Kontrast aufzuzeigen:

  1. Führungskräfte arbeiten mit Menschen, Vorgesetzte mit Ressourcen.
  2. Führungskräfte sprechen das Herz an, Vorgesetzte den Kopf.
  3. Führungskräfte inspirieren, Vorgesetzte dirigieren.
  4. Führungskräfte führen, Vorgesetzte kontrollieren.
  5. Führungskräfte schützen ihre Teams, Vorgesetzte ihre Position.
  6. Führungskräfte machen das Notwendige, Vorgesetzte das Nötigste.
  7. Führungskräfte erfragen auch Feedback, Vorgesetzte erteilen es nur.
  8. Führungskräfte heben Potenziale, Vorgesetzte verlieren sie.
  9. Führungskräfte formen Teams, Vorgesetzte stehen Gruppen vor.
  10. Führungskräfte erschaffen Führungskräfte, Vorgesetzte Vorgesetzte.

Warum Unternehmen und Profivereine Führungskräfte brauchen – und keine Vorgesetzten

In Anbetracht der gegenwärtigen unternehmerischen Herausforderungen und gesellschaftlichen Entwicklungen gilt es, insbesondere die letztgenannte These nochmals genauer zu betrachten. In ihrem Buch „Chefsache Perspektivwechsel: Eingefahrene Unternehmerdenkweisen auf den Kopf gestellt“ macht die Management- und Individualcoachin Cordula Grimm im 9. Kapitel „Führungskraft vs. Vorgesetzter – Vorgesetzte sind out: Gute Chefs führen“ deutlich, dass Unternehmen – und Gleiches gilt im Übrigen für Profivereine im Spitzensport – ihre Zukunft aufs Spiel setzen, wenn sie weiterhin auf Vorgesetzte und Command-and-Control-Strategien bauen, anstatt Führungskräfte heranzubilden und sie in ihrer Führungskompetenz zu stärken.

Denn die Stakeholder der Unternehmen und Profivereine wollen in die Zukunft ge-führt und mitgenommen werden, wollen Teil einer gemeinsamen und sinnstiftenden Vision sein, wollen sich beteiligen und entfalten und wertgeschätzt und honoriert werden – und nicht (mehr) wie Maschinen Anweisungen von Vorgesetzten befolgen und Vorgaben erfüllen.

Und deshalb braucht es Führungskräfte mit Führungskompetenzen. Führungskompetenzen fallen jedoch nicht vom Himmel oder sind einfach mit der Ernennung gegeben, sondern sie müssen erworben und weiterentwickelt werden. Oder anders ausgedrückt: Vorgesetzte*r ist man, Führungskraft wird man. Das ist ein Prozess, eine Reise mit Bergen und Tälern – eine Leadership-Journey, die sich lohnt. Für alle Beteiligten!

Oder doch nicht?

Ich bin gespannt darauf, zu lesen, wie Ihr über die Thesen denkt. Was könnt Ihr bestätigen, was seht Ihr anders, was möchtet Ihr ergänzen? Teilt gern Eure Meinungen und Erfahrungen in den Kommentaren.

Michael Micic

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