Zunächst vom Spitzensport zur Wirtschaft …
Von den beiden zurzeit wohl anerkanntesten und im Übrigen sehr angenehmen deutschen Sportpsychologen Hans-Dieter Hermann und Jan Mayer ist im Jahr 2014 unter dem Titel „Make them go!“ ein Buch erschienen, das ich als „Must-Have“ bezeichne. Das Besondere daran ist, dass Hermann und Mayer nicht nur faszinierende Einblicke in den „inner circle“ des Spitzensports gewähren und eindrücklich veranschaulichen, mit welchen Strategien und Methoden individuelle und kollektive Höchstleistungen möglich sind – sondern darüber hinaus dieses Wissen auch in die Welt der Wirtschaft und des Managements übertragen, um es für Fach- und Führungskräfte fruchtbar zu machen. Hervorzuheben sind insbesondere die Beiträge zu den Themen Motivationsanreize, Individualisierung und Teamentwicklung sowie Emotionalität und Vertrauensbildung. Das Buch bietet einiges, was die Wirtschaft vom Spitzensport lernen kann.
… und dann von der Wirtschaft zum Spitzensport
Umgekehrt stelle ich mir allerdings immer öfter die Frage, ob es nicht auch dem Spitzensport guttun würde, sich stärker von der Wirtschaft inspirieren zu lassen. Denn unsere Gesellschaft wandelt sich – und die Wirtschaft scheint das früher erkannt zu haben als der Spitzensport. Das zeigen nicht nur Bestseller wie Patrick Cowdens Buch „Neustart: Das Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen“ oder die vielen einschlägigen Artikel in den beruflichen sozialen Netzwerken zu Themen wie „New Work“, „Arbeiten 4.0“ oder „Industrie 4.0“. Auch der Umgang mit der „Generation Y“ (Geburtsjahrgänge zwischen 1980 und 1995) und die damit verbundenen Chancen und Herausforderungen für Firmen werden in der Wirtschaft bereits seit Langem behandelt – und inzwischen rückt die neu aufkommende „Generation Z“(Geburtsjahrgänge zwischen 1995 und 2010) ebenfalls ins Blickfeld. In den Profivereinen findet eine Beschäftigung mit den gesellschaftlichen Veränderungsprozessen – wie zuletzt Werner Micklers Vortrag über die Entwicklung des Anforderungsprofils von Fußballtrainern beim diesjährigen Internationalen Trainerkongress (ITK) in Fulda gezeigt hat – hingegen bislang nur unzureichend statt. Dafür sind die Denk- und Handlungsweisen im Spitzensport häufig noch zu veraltet, unflexibel und hierarchiegeprägt.
In vielen Firmen bereits seit Langem etablierte Arbeitsweisen wie das Home Office sind nur für sehr kleine Personenkreise im Spitzensport denkbar – z.B. für Videoanalysten. Für die Vereinbarkeit von Beruf und Familie sind mir aus dem Bereich des Spitzensports – anders als aus Wirtschaft – bislang keine Konzepte bekannt. Stattdessen wird es einfach als normal empfunden bzw. vorausgesetzt, dass viele Trainer und Entscheidungsträger hunderte Kilometer getrennt von der Familie leben und sie nur einmal in der Woche sehen – wenn überhaupt. Sorry, aber ein solches Leben ist kein Familienleben. Und es gibt nicht wenige, die darunter leiden. Anstatt zu kapitulieren, gilt es hier von Akteurs-, Vereins- und Verbandsseite zu agieren und zu verändern. Gleiches gilt für das Thema Führung: Führung wird noch immer eher transaktional als transformational verstanden und gelebt – häufig fehlt ein wirkliches Sich-Einlassen auf die Geführten. Und ein Betriebliches Gesundheitsmanagement gibt es gerade dort, wo Gesundheit und Bewegung einen besonderen Stellenwert einnehmen sollte, bislang nur in kleinen Ansätzen – und auch nicht überall.
Diese Liste ließe sich noch um weitere Punkte erweitern. Aber dieser Beitrag soll nicht erschöpfend sein, sondern „nur“ anregen und inspirieren. Ich schaue jedenfalls immer wieder gerne „hinüber“ zum Wirtschaftsbereich und werde dort bald auch die Innenperspektive einnehmen. Aber mehr dazu im nächsten Blogeintrag. Bis dahin!
Michael Micic
Literatur:
- Hermann, Hans-Dieter & Mayer, Jan 2014. Make them go!: Was wir vom Coaching für Spitzensportler lernen können. Hamburg: Murmann.
- Cowden, Patrick D. 2013. Neustart: Das Ende der Wirtschaft, wie wir sie kennen. Ab jetzt zählt der Mensch! München: Ariston.
Bild: geralt/pixabay
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