Robert Enkes Tod jährt sich zum 10. Mal. Sein Freitod – ein Schock für Deutschland. Was damals kaum einer wusste: Profifußballer Enke litt an Depressionen.
Es war am Abend des 10. November 2009, als Robert Enke seinem Leben selbst ein Ende setzte. Der damalige Keeper und Kapitän von Hannover 96 sowie Top-Favorit für die Torhüterposition in der deutschen Nationalmannschaft bei der WM 2010 in Südafrika stürzte sich in der Nähe seines Wohnortes vor einen Zug.
(Fußball-) Deutschland unter Schock
Enke hinterließ seine Frau Teresa und die acht Monate alte Tochter Leila, die das Paar erst im Mai 2009 adoptiert hatte, nachdem zweieinhalb Jahre zuvor ihre herzkranke Tochter Lara gestorben war. Das wiedergewonnene Glück der jungen Familie Enke – mit einem Schlag ausgelöscht. Ganz (Fußball-)Deutschland war geschockt und trauerte, insbesondere mit Teresa Enke, die innerhalb von drei Jahren Kind und Mann verloren hatte; aber auch mit Robert Enkes Eltern und Geschwistern, seinen Freunden und Mannschafskameraden, mit Hannover 96 und der Nationalmannschaft.
Dass Robert Enke bereits seit Jahren unter Depressionen litt, wusste bis dahin kaum jemand. Denn sowohl nach außen als auch innerhalb seiner Mannschaften wirkte er gefestigt und stabil und auf dem Platz überzeugte er mit Topleistungen. Wie es wirklich um ihn stand, wurde erst am Tag nach seinem Suizid bekannt, als seine Frau Teresa und Enkes Sportpsychiater Valentin Markser auf einer Pressekonferenz von der schweren Krankheit berichteten, die den Ehemann, Vater und Torhüter in den Suizid getrieben hatte.
Forderungen nach Veränderungen wurden laut
Ausgelöst durch seinen Suizid und die Statements und Reden von Teresa Enke, Valentin Markser, Oliver Bierhoff, Bischöfin Margot Käßmann, 96-Sportdirektor Jörg Schmadtke und nicht zuletzt DFB-Präsident Theo Zwanziger entstand im Fußball, aber auch in der Gesellschaft eine Grundsatzdiskussion über Leistungsdruck, Werte und den richtigen Umgang mit psychischen Erkrankungen. Es wurde eine Enttabuisierung von Depressionen und Aufklärungsarbeit gefordert, ebenso der Einsatz von Sportpsycholog*innen und Sportpsychiater*innen in Profivereinen und Nachwuchsleistungszentren sowie eine humanere Art der häufig als gnadenlos empfundenen Sportberichterstattung. Forderungen nach einem neuen Sport oder gar einer neuen Gesellschaft wurden ebenfalls laut.
Und auch ich erinnere mich, wie ich als ausgebildeter Sportmanager und angehender Theologe damals bei einer christlichen Sportorganisation saß und gemeinsam mit anderen Christ*innen, die im Profi- und Leistungssport tätig sind, darüber diskutierte, dass sich endlich etwas ändern müsse im Sport und in der Gesellschaft – hin zu einem offeneren Umgang mit Schwächen, Krankheiten und dem Thema Tod.
Eine Gegenwartsanalyse: zwischen Stillstand und Aufbruch
Und was hat sich seitdem verändert – zehn Jahre nach dem Suizid von Robert Enke? Die Sportpsychologie hat sich noch weiter professionalisiert und ist mittlerweile zertifizierungsrelevant und fest in den Ausbildungscurricula der Nachwuchsleistungszentren platziert. D.h. sie bildet eine der fünf Schlüsselqualifikationen, die den Nachwuchstalenten vermittelt werden. Im Profibereich ist die Zusammenarbeit mit Sportpsycholog*innen allerdings nach wie vor freiwillig und nicht verpflichtend. Zudem steht in der Sportpsychologie nicht zwangsläufig das seelische Empfinden der Spieler im Vordergrund, sondern vielfach die sportliche Leistungserbringung. So bemängelte Hannovers Kapitän Altin Lala nach dem Suizid Enkes, dass der daraufhin installierte Sportpsychologe „wieder mehr den Spieler als den Menschen gesehen“ habe. Aber freilich gibt es auch eine Vielzahl an Sportpsycholog*innen, die in ihrer Arbeit sowohl den*die Sportler*in als auch den Menschen ausgeglichen berücksichtigen, was sie wichtig und wertvoll für Vereine und Verbände macht.
Und wie steht es mit weiteren Entwicklungen? Die vom DFB, der DFL und Hannover 96 im Januar 2010 gegründete Robert-Enke-Stiftung mit ihrer Vorsitzenden Teresa Enke hat mit ihren vielfachen Initiativen und Kooperationen (MentalGestärkt, Referat Sportpsychiatrie/-psychotherapie, Beratungshotline Seelische Gesundheit u.a.) sowie mit der Handlungshilfe „Psychische Gesundheit im wettkampforientierten Leistungssport“ einen herausragenden Beitrag dazu geleistet, dass an Depressionen erkrankten Sportler*innen, Trainer*innen und Verantwortlichen schnell geholfen werden kann und die Vereine und Verbände, aber auch die Gesellschaft über diese Krankheit, den Umgang damit und die Heilungschancen (die es gibt!) aufgeklärt werden.
Die „unheilvolle Allianz“
In den Vereinen und Verbänden selbst fehlt es allerdings nach wie vor an Sportpsychiater*innen. Die Sportberichterstattung ist nicht gnädiger geworden und Schwächen und psychische Erkrankungen zuzugeben gestaltet sich nach wie vor schwierig. Das gilt im Sport wie in der Gesellschaft. Laut Enkes Psychiater Valentin Markser, einst selbst Profi-Handballtorwart in Gummersbach, gibt es nach wie vor eine „unheilvolle Allianz“ im Sport, die versucht, das Thema „Seelische Erkrankungen“ klein zu halten.
Markser plädiert dafür, Sportler*innen regelmäßig zu untersuchen. Es sei nicht ausreichend, ihnen mentale Techniken für den Wettkampf beizubringen. Vielmehr gehe es darum, sich auch zwischen den Wettkämpfen um ihre seelische Gesundheit und ihre Gesamtpersönlichkeit zu kümmern.
Jörg Schmadtke: „Robert hat uns eine Aufgabe gestellt.“
Ähnlich wie Markser formulierte es auch bereits nach Enkes Suizid Hannovers damaliger Sportdirektor Jörg Schmadtke, der mich nach ersten Gesprächen bei Hannover dann im Jahr 2014 bei seiner neuen Tätigkeit beim 1. FC Köln als Life-Coach und Persönlichkeitsentwickler einstellte, bevor ich später meine heutige Tätigkeit in Wirtschaft und Sport aufnahm.
Laut Schmadtke muss der Fußball lernen, dass er es mit jungen Menschen zu tun hat, die vielfach unreif sind, die von der ganzen Situation überfordert sein können und Beratung und Betreuung brauchen, um reif und selbstständig denken und handeln zu können. Wirtschaftlich perfekte Ausstattung und komfortable Trainingsbedingungen seien – so Schmadtke – bei weitem nicht ausreichend. Auch der Einsatz von Sportpsycholog*innen, wie ihn einige Klubs betrieben, gehe nur bedingt in die richtige Richtung. Es reiche nicht, wenn Wissenschaftler*innen die Sportler*innen bis an deren Leistungsgrenzen heranführten.
Bemerkenswert an Schmadtkes Ausführungen, die er mit den Worten „Robert hat uns eine Aufgabe gestellt“ eröffnete, ist, dass sie von der Frage nach dem Umgang mit der für Enkes Suizid verantwortlichen Krankheit Depression und der psychischen Gesunderhaltung im Leistungssport eine grundsätzlichere Frage ableiten: nämlich die Frage nach der individuellen Begleitung und Förderung des Menschen, der hinter jedem Spieler steckt – und damit einhergehend die Frage nach der verantwortungsvollen Heranführung eines jungen Fußballers an ein Leben als Profi.
Die Vision einer „heilvollen Allianz“
Was der Fußball braucht, sind ganzheitliche Ansätze und Kooperationen, die neben dem Aspekt der sportlichen Leistungserbringung auch die gelingende Lebensgestaltung und die Persönlichkeitswerdung zum Ziel haben und alle drei genannten Bereiche miteinander in Bezug setzen bzw. in Einklang zu bringen versuchen. Es bleibt zu hoffen, dass ähnlich wie in England, wo Sportseelsorger*innen (sogenannte Club Chaplains) und Sportpsycholog*innen, Mentaltrainer*innen etc. vermehrt zusammenarbeiten, auch hier in Deutschland in einer Art „heilvollen Allianz“ eine engere Zusammenarbeit zwischen all denen stattfindet, deren Aufgabe es ist, verantwortungsvoll zu fördern und zu begleiten – zum Wohle aller und des Sports. Und damit Robert Enkes Tod nicht umsonst war.
Michael Micic
Buchtipp: Robert Enke: Ein allzu kurzes Leben – von Ronald Reng.
Bild: kyasarin/pixabay
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