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Immer wieder kommt es im Fußball und in der Gesellschaft zu rassistischen und antisemitischen Beleidigungen und Angriffen. Weder die Vereine und Verbände noch die Politik scheinen bislang eine Lösung für dieses schwerwiegende Problem zu haben.
Die aufkommenden Rechtspopulist*innen, der Rassismus gegen Özil, die Entgleisung von Clemens Tönnies, die Vorkommnisse in den italienischen Ligen, der Terroranschlag auf die jüdische Synagoge in Halle, der Beinahe-Abbruch beim Spiel der englischen Nationalmannschaft in Bulgarien – quo vadis, Fußball und Gesellschaft in Deutschland und Europa?
Rassismus in Deutschland
Das Problem zeigt sich hierzulande bereits in der Kreisklasse: Insbesondere bei ethnisch homogen anstatt heterogen zusammengesetzten Teams kommt es in Konfliktsituationen immer wieder zu rassistischen und diskriminierenden Äußerungen und Übergriffen. Medial aufgegriffen wurde die Rassismusthematik, nachdem in den 1980er und 1990er Jahren sowie um die Jahrtausendwende damalige Profispieler wie Anthony Baffoe, Gerald Asamoah oder Otto Addo von Neonazis, die die Fanszene unterwanderten, beschimpft und beleidigt worden waren.
Als bei der WM 2006 „die Welt zu Gast bei Freunden“ und Asamoah Teil einer multiethnisch zusammengesetzten deutschen Nationalmannschaft war, spielten Fragen nach Hautfarbe, Herkunft oder Religion in der öffentlichen Wahrnehmung wieder eine untergeordnete Rolle. Vielmehr feierte man Deutschland im In- und Ausland als weltoffenes, tolerantes und demokratisches Land. Den Höhepunkt bildete der WM-Sieg im Jahr 2014 in Brasilien. Spätestens da galten auch die nicht-deutschstämmigen Nationalspieler als Paradebeispiele für eine gelungene Integration in die deutsche Gesellschaft. Dass Spieler wie Mickaël Poté oder Danny da Costa ein bis zwei Jahre zuvor von gegnerischen Fans noch rassistisch beleidigt worden waren, geriet in Vergessenheit. Doch seit dem Beginn der Flüchtlingskrise 2015 und dem Aufkommen des Rechtspopulismus hat sich die Situation wieder verändert.
Der italienische Fußball hat ein Problem
Während die Phänomene Rassismus und Antisemitismus in den höchsten deutschen Spielklassen und auch in den meisten anderen europäischen Topligen allerdings eher punktuell vorzufinden sind, zeichnet sich im italienischen Fußball – quer durch die Ligen – seit Jahren ein eher konstant negatives Bild ab. Obwohl bereits insbesondere Fangruppen von Lazio Rom durch antisemitische Äußerungen und Übergriffe auffällig geworden sind und Anhänger*innen verschiedener Clubs gegnerische Spieler einzig aufgrund ihrer schwarzen Hautfarbe immer wieder mit Bananen beworfen oder mit Affenlauten verhöhnt haben, passierte bislang gefühlt – nichts.
Zwar wurden die Vereine wegen der Entgleisungen ihrer „Fans“ vielfach mit Geldbußen belegt; die Täter*innen kamen allerdings zu häufig ungeschoren oder mit nur geringen Strafen davon und konnten so ihr widerliches Verhalten meist ungehindert fortsetzen. Unter den Opfern der rassistischen Beleidigungen und Angriffe finden sich viele bekannte in- und ausländische Spieler. Kevin-Prince Boateng und Kevin Constant zählten bereits ebenso dazu wie Sulley Muntari und Mario Balotelli – oder zuletzt Romelu Lukaku und Juan Jesus.
Erschreckend an den Vorfällen, die freilich nicht nur im fußballerischen, sondern auch im gesamtgesellschaftlichen italienischen Kontext mit der schwierigen Flüchtlingsthematik und einer rechtsgerichteten Regierung gesehen werden müssen, ist, dass sie nicht nur von Fans, sondern auch von Fußballverantwortlichen und Meinungsmacher*innen begangen wurden und werden.
Ein aktuelles Beispiel ist das des TV-Experten Luciano Passirani. Er sagte erst vor ein paar Wochen in einem Kommentar, Romelu Lukaku sei nur zu stoppen, wenn man ihm eine Banane gäbe. Daraufhin wurde der 80-Jährige Passirani vom TV-Sender entlassen. Diese Konsequenz und auch das lebenslange Stadionverbot gegen einen Fan von AS Rom, der jüngst den Spieler Juan Jesus bei Instagram rassistisch beleidigt hatte, kommen nach den vielen Vorfällen in den vergangenen Jahren reichlich spät. Es bleibt zu hoffen, dass sich diese neue Zero-Tolerance-Strategie nicht nur gegenüber Einzelpersonen, sondern auch gegenüber Gruppen durchziehen und ihre Wirkung im italienischen Fußball erzielen wird.
Die Dinge beim Namen nennen – und handeln!
Und in Deutschland und in anderen Ländern? Wie soll da mit Rassismus und Antisemitismus umgegangen werden?
Zunächst geht es aus meiner Sicht darum, ein Bewusstsein dafür zu schaffen, dass jeder Mensch nicht nur für sein Handeln, sondern auch für sein Denken und Reden Verantwortung übernehmen und die Konsequenzen abschätzen muss. Denn – um es mit den Worten von Michel Friedman zu sagen – :
„Wir, die wir in Europa leben, haben in Jahrhunderten gelernt, dass die Gewalt nicht damit beginnt, dass man eine Gruppe bereits umbringt, sondern dass die geistige Brandstiftung – das Wort – so viel Kraft ausübt bei denen, die Vorurteile haben, dass sie glauben, dass sie legitimiert seien, aus der geistigen Brandstiftung eine echte umzusetzen.“
Michel Friedman
Weder der Fußball noch irgendein anderer Ort in der Gesellschaft ist ein rechtsfreier Raum und das universelle Grundrecht auf Würde bleibt unantastbar. Punkt. Deshalb ist es auch schwer nachzuvollziehen, dass sich – bei aller berechtigter Kritik gegen das gemeinsame Foto mit Erdogan – nach Özils Rücktritt und dem darauffolgenden Shitstorm weder seine ehemaligen Kollegen aus der deutschen Nationalmannschaft noch der DFB klar gegen Rassismus positioniert und Özil geschützt haben.
Befremdlich oder zumindest fraglich ist auch, warum der DFB-Integrationsbeauftragte Cacau dafür plädierte, die rassistischen Äußerungen gegen Gündogan und Sané als Einzelfall abzutun und sie nicht größer zu machen, als sie seien – und wie die DFB-Ethikkommission im Fall Tönnies zu der Entscheidung kam, seine Äußerung sei zwar rassistisch gewesen, eine Anklage aber nicht zu empfehlen (woraufhin der SPIEGEL dem DFB Versagen vorwarf). Ebenso wenig nachvollziehbar ist – um abschließend noch ein Beispiel aus Italien zu nennen – die Erklärung der Curva Nord, in der die Inter-Ultras Romelu Lukaku erklären, dass es in Italien normal sei, gegnerische Spieler mit allen möglichen Mitteln durcheinanderzubringen, zur Not auch mit Affenlauten – dass dies aber kein Rassismus sei. Aha!
Wenn aber die Dinge nicht beim Namen genannt werden und man sich nicht betroffen fühlen muss, weil man zumindest nicht von den eigenen Fans beleidigt wird oder ein weißer Spieler ist und damit zur Mehrheitsgesellschaft zählt, ist dann alles in Ordnung? Keineswegs! Noch einmal Friedman (Zitat aus seinem Vortrag, der hier auf YouTube angeschaut werden kann): „Wenn es heißen würde, DIE Muslime, werde ich Muslim. Wenn es heißen würde, DIE Glatzköpfe mit Brille, werde ich Glatzkopf mit Brille. […] Wer von ,DENEN‘ spricht, begeht Rassismus. Und Rassismus ist menschenverachtend. Unter welchen Deckmäntelchen auch immer bleibt Rassismus Rassismus“ – und Antisemitismus Antisemitismus. Deshalb gilt es, nicht wegzuschauen, sondern sich mit denen zu solidarisieren, die diskriminiert werden – auch wenn man selbst nicht zur ausgegrenzten Gruppe zählt. Und es gilt außerdem, den eigenen Gedanken, Worten und Taten gegenüber achtsamer zu sein bzw. zu werden – denn sie können großen Schaden anrichten.
Helfen kann uns dabei die wiederkehrende Erinnerung an die folgende Weisheit aus dem jüdischen Talmud:
- Achte auf Deine Gedanken, denn sie werden Worte.
- Achte auf Deine Worte, denn sie werden Handlungen.
- Achte auf Deine Handlungen, denn sie werden Gewohnheiten.
- Achte auf Deine Gewohnheiten, denn sie werden Dein Charakter.
- Achte auf Deinen Charakter, denn er wird Dein Schicksal.
Üben wir uns in dieser Achtsamkeit – im Fußball und in der Gesellschaft!
Michael Micic
Zum Reinhören: Den ganzen Vortrag von Michel Friedman im Theaterprozess gegen die Schweizer Wochenzeitung Weltwoche zum Thema Meinungsfreiheit, geistige Brandstiftung und Rassismus findest Du hier im Video: https://www.youtube.com/watch?v=TP692DcfKFg
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